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Mindener Tageblatt , 28.01.2004 :

Krisenherd: Mehr Präsenz in Zentralasien zeigen / GfW-Referat von Ex-Verteidigungsattaché Czarnecki / Fünf Jahre in "Vater der Äpfel"

Minden/Bückeburg (hz). "Deutschland muss an mehr Präsenz in dieser Region interessiert sein, um das Entstehen eines gefährlichen Krisenherdes mit direkten Auswirkungen auf Europa bereits im Ansatz zu verhindern". Dieses Fazit hat Peter Czarnecki gezogen, der auf Einladung der Sektion Minden der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik (GfW) über die sicherheitspolitische Lage in Zentralasien referierte.

GfW-Sektionsleiter Klaus Suchland stellte den Oberst als profunden Kenner der zentralasiatischen Region vor. Der 61-Jährige lebte von 1996 an fünf Jahre lang in Almaty (kasachisch: Vater der Äpfel), dem früheren Alma-Ata und war als Verteidigungsattach±e zuständig für die Republiken Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan. Auf zahlreichen Reisen erwarb er ein umfassendes Bild der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion unabhängigen Staaten. Im 13. Jahr ihrer Unabhängigkeit wird der Alltag dieser Länder noch immer von anderen Problemen beherrscht, als sie Mitteleuropäer bekümmern, unterstrich Czarnecki.

Am Beispiel durchschnittlicher Monatslöhne eines Arbeiters (Kasachstan 125 US-Dollar, Kirgisien 35, Tadschikistan 10) verdeutlichte er die enormen Unterschiede zu europäischen Verhältnissen. Dennoch sei in Teilen der Region in der zurückliegenden Zeit ein unübersehbarer Entwicklungsschub zu verzeichnen. Besonders Kasachstan habe eine Vorreiterrolle übernommen. Das autokratisch geführte Land glänze seit einigen Jahren durch hohes Wirtschaftswachstum. Was nicht zuletzt auf dem enormen Reichtum an Bodenschätzen beruhe.

Mit Kirgisien und Tadschikistan bildeten im regionalen Sicherheitsgefüge jedoch gerade jene Länder die schwächsten Glieder, die vor den größten Wirtschafts- und Sicherheitsherausforderungen stehen. Das Beispiel Tadschikistans, das seine Stattlichkeit und Sicherheit aus eigenen Kräften nicht wahren kann, unterstreiche die schwierige Situation. Der Oberst charakterisierte die allgemeinen nationalen Sicherheitsstrukturen der Staaten Zentralasiens als rudimentär. Sie stellten lediglich Fragmente der zerfallenen Sowjet-Streitkräfte dar.

Kein verlässliches Sicherheitssystem

Czarnecki: "Auch hinsichtlich multilateraler Kooperation gilt die Feststellung, dass Zentralasien in kein verlässliches Sicherheitssystem eingebunden ist. Der als kollektives Sicherheitssystem von den früheren Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisien, Moldova, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland ein Jahr nach Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten geschlossene Taschkenter Vertrag hat sich als unwirksam erwiesen. Die als subregionale Kooperationsgemeinschaft 1994 ins Leben gerufene Zentralasiatische Wirtschaftsunion, die auch Ansätze sicherheitspolitischer Zusammenarbeit entwickelte, scheiterte auch an der Tatsache, dass die Staaten Gefahren für ihre nationale Sicherheit in ihren Nachbarländern sehen, die eigentlich ihre Regionalpartner sein sollten."

In der jüngsten Vergangenheit habe der von Russland propagierte Kampf gegen den internationalen Terrorismus und religiösen Extremismus an Bedeutung gewonnen. Der Referent machte eine große Zahl weiterer sicherheitspolitisch relevanter Probleme aus. Er nannte ethnische und soziale Konflikte, Kriminalität und Korruption, Sezessionsbestrebungen in Vielvölkerstaaten, Drogen- und Waffenhandel, sowie Umweltprobleme und Wassernutzung.

In allen Staaten werde übereinstimmend die Bedeutung der Wirtschaftsentwicklung als entscheidender Faktor der Stabilisierung betont. "Hier liegt der Ansatz für die Zusammenarbeit Deutschlands mit Zentralasien, stellte der Oberst heraus. Deutschland sei einer der Wunschpartner in Zentralasien. Es muss daher in unserem Interesse sein, die Reformbemühungen zu unterstützen, um radikalen Bewegungen den Boden zu entziehen und politische Freunde zu behalten, die unsere Werte und Interessen vertreten."


mt@mt-online.de

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