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Lippische Landes-Zeitung , 28.01.2004 :

Das Schweigen Hiobs

Blomberger Gymnasiasten gedenken der Opfer des Nationalsozialismus

Blomberg (khk). Sechs große, weiße Kieselsteine - Symbol für sechs Millionen ermordete Juden. Einige Schüler des Blomberger Schulzentrums legen die Steine behutsam auf die Grabsteine des kleinen jüdischen Friedhofs. Um sie herum stehen etwa 80 weitere Schüler, Lehrer und einige andere Erwachsene. Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Erinnerung an den 27.Januar 1945, an dem die Rote Armee die Tore des Konzentrationslagers Auschwitz öffnete, und der zum offiziellen Gedenktag der Bundesrepublik wurde.

An den wenigen Gräbern ist es still. Eine Stille, die immer wieder unterbrochen wird vom Motorengeräusch vorbeifahrender Autos, oder vom Klirren zerplatzender Glasflaschen, die in einen Container geworfen werden. Schüler der Jahrgangsstufe 13 lesen einen Text vor. "Dass in der Mitte des letzten Jahrhunderts nicht nur in Auschwitz, sondern an zahlreichen Orten ganz und gar Unglaubliches, ganz und gar Unmenschliches nicht einfach geschah, sondern getan wurde, das macht einen Unterschied auch für die Generationen, die nach dem 27. Januar 1945 geboren wurden und werden", heißt es da.

"Wir wollen uns der Verantwortung stellen"
Blomberger Abiturienten

Darum dieses Gedenken an den Gräbern Blomberger Juden mit einer kurzen Trauerfeier. "Eine Idee, die etwa vor sieben Jahren im Kirchenkonvent entstanden ist", berichtet Pastorin Ursel Rosenhäger. "Wir haben angeboten, uns aktiv daran zu beteiligen. In der 13. Jahrgangsstufe wird das Thema Nationalsozialismus gerade behandelt", meint Lehrerin Annelie Brandt von Lindau. Dieter Zoremba vom Arbeitskreis der Stadt, der in dieser Frage mit den Kirchengemeinden zusammenarbeitet, hat das gerne aufgegriffen.

"Voller Erschrecken schauen wir auf die Geschichte unseres Volkes", lesen die Schüler vor, und: "Wir wollen uns der Verantwortung unseres Volkes stellen." Später im Gespräch wird Sarah sagen: "Schuldig fühle ich mich nicht." Und auf die Frage, ob sich jemand diese industriell durchgeführte Ermordung von Millionen von Menschen überhaupt vorstellen könne, folgt allgemeines Kopfschütteln.

Aber Markus, Anja, Monique, Melanie, Sarah, Maria, Jasna und all die anderen stimmen zu, als eine formuliert: "Schuld sind wir nicht, aber wir tragen Verantwortung dafür, dass so etwas nicht wieder passiert. Und dafür, dass so was nicht in Vergessenheit gerät."

Der Text zitiert ein Gedicht von Albert Friedländer: "Keine Worte gelangen jenseits der Grenze der Nacht, kein Kundschafter vermag uns die ganze Geschichte zu erzählen.

"Es bleibt nur das Schweigen der Erinnerung"
Albert Friedländer

Es bleibt nur Schweigen. Das Schweigen Hiobs. Das Schweigen der sechs Millionen. Das Schweigen der Erinnerung."

In Blomberg bleibt an diesem Dienstagmorgen ein kurzer Moment des Gedenkens. Das Schweigen der Menschen an den jüdischen Gräbern. Schüler, die in einer starken symbolischen Geste sechs Kiesel niederlegen. Bürgermeister Dr. Siegfried Pilgrim und Pastorin Ursel Rosenhäger, die gemeinsam einen Kranz auf ein Grab legen. Die Zeremonie ist vorbei, aber sie wirkt noch nach. Eine Sekunde verharren alle, bis langsam wieder der Alltag einkehrt.


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