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Die Glocke , 27.01.2004 :

Gedenktag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz / Auf jüdischen Spuren von Gütersloh nach Riga

Von Regina Bojak

Gütersloh (gl). "Während meines Studiums in Heidelberg habe ich irgendwann einen Anhalter mitgenommen. Er war Jude aus Kanada. Seine Eltern sind nur knapp dem Holocaust in Polen entkommen. Mit ihm bin ich zum ersten Mal einem Juden begegnet." Hans-Jürgen Gaber überlegt laut und kommt rückblickend, nach einigen Zwischenstationen, zu diesem Erlebnis, dass ihn indirekt bis heute beschäftigt.So bietet Gaber Führungen durch Gütersloh an, in denen das jüdische Leben in der Stadt im Mittelpunkt steht. In einem Vortrag in der Volkshochschule stellt er heute Abend eine Verbindung zur lettischen Hauptstadt Riga her. "In meiner Jugend war das Thema Judenverfolgung sehr abstrakt. Wir kannten keine jüdischen Mitbürger und dieser Teil der deutschen Geschichte wurde in den 60er Jahren schlicht verdrängt", erinnert sich der Psychologe, der für eine Stelle an der Westfälischen Klinik von Berlin nach Gütersloh kam. Der Kontakt mit diesem jungen Juden, der auf der Suche nach seiner Identität war, verstärkte das Interesse Gabers an der jüdischen Religion und der Juden-Verfolgung. Ein sehr persönliches Erlebnis brachte Hans-Jürgen Gaber dazu, sich noch intensiver mit den Fragen nach Religion, Glauben und was im Leben Halt geben kann, zu beschäftigen. "Nach dem Tod meiner Tochter Clara spielten meine christlichen Wurzeln plötzlich wieder eine Rolle." Gaber beschloss, nach Israel zu reisen, um das Land kennen zu lernen, in dem diese christlichen Wurzeln liegen. Dort geriet er direkt in eine Auseinandersetzung der ersten Intifada. "Kinder warfen Steine auf bewaffnete Soldaten. Ich hatte dort so einen engen Kontakt zum jüdischen Leben wie nie zuvor."

Das Schicksal der Juden ließ Hans-Jürgen Gaber nie wieder los. Das Buch "Juden und jüdische Gemeinde in Gütersloh" von Jehuda Barlev (früher Kurt Herzberg aus Gütersloh) brachte ihn schließlich dazu, eine Reise nach Riga zu planen. Dort wollte er den Spuren von Klara Herzberg, und Bernhard und Hannchen Levi nachgehen, drei Juden aus Gütersloh, die am 10. Dezember 1941 dorthin deportiert worden waren. "Als das Jüdische Museum in Dorsten im vergangenen Jahr so eine Reise anbot, habe ich mich sofort entschlossen, mitzufahren", sagt Hans-Jürgen Gaber. Um die Eindrücke, die Klara Herzberg sowie Bernhard und Hannchen Levi auf ihrem Weg nach Riga machten, besser nachvollziehen zu können, wählte Gaber die Fahrt mit der Bahn. In den vielen Stunden der beiden Reisetage versuchte er sich vorzustellen, welche Gefühle der Angst und der vielleicht immer wieder aufkeimenden Hoffnung die Menschen bewegten, die auf engstem Raum eingepfercht eine Reise ins Ungewisse antraten.

"Gefühle sind kaum in Worte zu fassen"

Gütersloh (rebo). In der lettischen Hauptstadt Riga angekommen, erlebte Hans-Jürgen Gaber, dass das Thema "Juden in Lettland und Riga" immer noch weitgehend verdrängt wird. Die Reiseführerin vor Ort wies die Besucher lieber auf die zahlreichen restaurierten Gebäude in der Stadt hin, als sich mit der dunklen Vergangenheit zu beschäftigen. "Isaak Kleinhans, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, übernahm die Aufgabe, uns diesen Teil der Geschichte näher zu bringen", sagt Hans-Jürgen Gaber. Isaak Kleinhans berichtete der Reisegruppe über das Verhalten der nichtjüdischen Einwohner Rigas angesichts der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger. Außerdem führte er die Besucher aus Deutschland in die Wälder vor der Stadt, wo etwa 70 000 Juden ermordet wurden. "Es ist kaum möglich, die Gefühle, die ich an diesem Ort hatte, in Worte zu fassen", erklärt Hans-Jürgen Gaber. "Ich empfand, wie wiederholt an anderen Orten der Shoa, tiefe Schuld und Scham."

Hans-Jürgen Gaber hält am heutigen Dienstag, dem Gedenktag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, einen Vortrag über seine Reise nach Lettland und Riga. Ab 19.30 Uhr berichtet er im Haus der Volkshochschule, Königstraße 1, über seine Eindrücke. Er erzählt von Begegnungen vor Ort, von Verschwundenem und Erhaltenem sowie vom Umgang der Letten mit diesem Abschnitt ihrer Geschichte.


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