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Lippische Landes-Zeitung , 10.11.2006 :

Als der Stuhl vor die Tür gestellt wurde / Gedenken an Novemberpogrom

Detmold (te). Als am 9. November 1938 die Detmolder Synagoge brannte, hatte die systematische Ausgrenzung jüdischer Mitbürger schon lange begonnen. Ihnen wurde fast wörtlich der Stuhl vor die Tür gestellt, denn sie mussten vor und nach der so genannten Reichspogromnacht ihre Wohnungen verlassen. Die Ausstellung "Stuhl vor die Tür gestellt" beschäftigt sich mit dieser Vertreibung.

Eine Vertreibung, der der Verlust der Heimat und dann oft der Verlust des Lebens folgte, wie Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann gestern Abend bei der Eröffnung der Ausstellung im Rathaus sagte. Erarbeitet wurde die Schau von einem Kreis der reformierten Kirchengemeinden Detmold-Ost und -West und dem Frauenkreativkreis der Versöhnungskirche mit Unterstützung vieler anderer.

Der Fotograf Matthias Schultes lichtete 12 Gebäude ab, in denen einst jüdische Detmolder wohnten. Zwei gezeichnete Häuser stehen stellvertretend für die sechs Detmolder "Judenhäuser", die letzten Stationen vor der Deportation in die Vernichtung.

Auf allen Bildern steht im Vordergrund bewusst störend ein schwarzer Stuhl. Gertrud Wagner berichtete in ihrer Einführung, dass von den heutigen Hausbesitzern überwiegend Zuspruch gekommen sei. Aber es habe auch offen antisemitische oder entschuldigende Ablehnungen des Wunsches gegeben, die Häuser fotografieren zu dürfen.

Bürgermeister Rainer Heller nannte die Schau, die bis Ende Januar im Rathaus bleibt, einen wichtigen Beitrag für die Aufarbeitung der städtischen Geschichte und für die Kultur des Gedenkens.

Dutzmann hoffte, die Ausstellung werde auch aktuelle Fragen zum Umgang mit Ausgrenzung anregen. "Und die Antwort: Ich will mich dafür einsetzen, dass alle Menschen in unserer Stadt ohne Angst in Frieden leben können."

Von diesem Gedanken bestimmt, hatten zuvor die Gedenkfeiern an der Lortzingstraße und an der Gedenkstätte Alten Synagoge stattgefunden. Die heutigen Generationen seien dafür verantwortlich, dass sich die Geschichte nicht wiederhole, sagte Astrid Bartols (DGB) in ihrer Ansprache. "Aber werden nicht auch heute wieder Menschen millionenfach ausgegrenzt?", fragte sie mit Blick auf Hartz IV und die Abschiebung von Ausländern.

Dazu wolle sie nicht schweigen, selbst wenn sie sich vielleicht auf dünnem Eis bewege. Es sei an der Zeit, vor der Tür stehende Stühle wieder ins Haus zu holen.


Detmold@lz-online.de

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