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Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 24.01.2004 :

Im Sog der Vergangenheit / Italienisches Militärgericht leitet Ermittlungsverfahren gegen ehemaligen Ordnungsamtsleiter (79) ein

Von Heinz Nedderhoff

Hüllhorst. Das Militärgericht im italienischen La Spezia hat gegen den ehemaligen Hüllhorster Ordnungsamtsleiter Werner Daniel ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Daniel (79) wird verdächtigt, als Soldat vor knapp 60 Jahren – im August und September 1944 – an der Tötung von zehn italienischen Zivilisten in der Provinz Forli beteiligt gewesen zu sein. So jedenfalls lautet der Verdacht, den das Gericht von La Spezia erhebt. Werner Daniel selbst kämpft seit Monaten mit Hilfe seines Anwalts gegen die Vorwürfe.

"Ich bin von der Vergangenheit eingeholt worden", so der Beschuldigte, der keine Erklärung findet, warum die italienischen Behörden gerade auf ihn gekommen sind. Er sieht sich zu Unrecht verdächtigt, da er nach eigenem Bekunden zu dem fraglichen Zeitpunkt gar nicht mehr in Italien war.

"Ich bin am 17. Februar 1944 südlich von Rom (Netuno-Anzio) durch Granatsplitter schwer verwundet worden und kam dann nach mehreren Operationen und Aufenthalten in verschiedenen Lazaretten über Florenz, Meran und Marienbad zuletzt nach Konstantinsbad (Sudetenland)", erinnert sich der 79-Jährige.

Auf eigenen Wunsch entlassen, trat er anschließend einen Genesungsurlaub in Arys (Ostpreußen), seiner Heimat, an. Vom 17. bis 30. Dezember 1944 hielt sich Werner Daniel nach eigener Darstellung noch einmal im so genannten "Revier" des Truppenlagers Arys-Süd auf. Über Königsberg (Ostpreußen) kam er schließlich nach Eisenach zur Genesungskompanie der Panzerjäger-Ersatz- und Ausbildungsabteilung Nr.9. Am 30. April 1945 wurde er von der Heeresentlassungsstelle Lübeck aus der Wehrmacht entlassen. "In meine ostpreußische Heimat konnte ich dann nicht mehr zurück", blickt Werner Daniel zurück. In Italien diente er damals – knapp 20 Jahre alt – als Funker in der 3. Kompanie der Schweren Panzerjäger, Abt. 525, die seinerzeit zwischen Genua, La Spezia, Livorno und Lanuvio stationiert war. "Warum die italienischen Behörden mich mit den Taten in Verbindung bringen, ist mir vollkommen unerklärlich", betont Daniel.

Mitte Mai 2003 wurde Daniel per Einschreiben vom Militärgericht in La Spezia darüber informiert, dass gegen ihn eine Voruntersuchung laufe. Die ihm – und möglicherweise weiteren Personen – zur Last gelegten Taten sind in diesem Schreiben aufgeführt. Vom Gericht in La Spezia wurde dem Hüllhorster zunächst ein italienischer Pflichtverteidiger zugewiesen.

Werner Daniel muss jetzt belegen, dass er zur fraglichen Zeit nicht in Italien war, sondern das Land längst verlassen hatte. "Ich war einfacher Gefreiter, und als Funker musste ich nicht auf andere Menschen schießen", beteuert Daniel. Er wurde aufgefordert, Zeugen zu benennen.

Rund sechs Jahrzehnte nach den Ereignissen ist das jedoch nicht mehr ganz einfach. Zwar hatte Werner Daniel noch vor geraumer Zeit lose Kontakte zu ehemaligen Kameraden und Bekannten aus jener Zeit, doch inzwischen sind alle verstorben.

Daniel, dem 1983 wegen seines sozialpolitischen Engagements das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, würde es begrüßen, wenn sich ein deutsches Gericht seines Falles annähme, "um die Vorwürfe gegen mich zu entkräften".

Daraus wird wohl vorerst nichts, denn auf den Schreibtischen der italienischen Staatsanwälte stapeln sich, jedenfalls verschiedenen Veröffentlichungen zufolge, seit Mitte der 90er Jahre die Akten über ehemalige Wehrmachtssoldaten, denen die Beteiligung an Kriegsverbrechen in Italien zur Last gelegt werden.

Immerhin wurden während der 20 Monate dauernden deutschen Besatzung in Italien etwa 10.000 Zivilpersonen umgebracht. Die rund 700 Akten wurden an die zuständigen Militärgerichte weitergeleitet. Spektakuläre Prozesse gegen zumeist ranghohe ehemalige Wehrmachtsoffiziere sorgten und sorgen immer noch für Aufsehen.

Gut möglich, dass Werner Daniel in den Sog dieser Ermittlungen geraten ist.

24./25.01.2004
lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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