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Die Wage - Magazin für Lippe , 02.01.1987 :

Väter und Söhne / HIAG meets Antifa

Zu einer Begegnung ganz besonderer Art kam es am 26.11.1986 in der Detmolder Szene-Kneipe "Kaiserkeller". Dieses Lokal befindet sich im Keller des ehemaligen Hotels "Kaiserhof", in dem während der Jahre 1933 bis 1945 NS-Größen abzusteigen pflegten, wenn sie nach Detmold kamen, um zum Beispiel an den alljährlichen Feier zur Erinnerung an den Nazi-Wahlsieg in Lippe im November 1933 teilzunehmen. An diesem traditionsreichen Ort trafen sich Mitglieder der Detmolder und Lemgoer Gruppe der HIAG ("Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS e.V.") und Mitglieder des Detmolder "Arbeitskreis gegen Neonazismus".

Wie es zu diesem Treffen kam, ist der hier dokumentierten Erklärung des Arbeitskreises gegen Neonazismus zu entnehmen. Informationen über die HIAG enthält der Artikel Manfred Hilbrinks ("HIAG verherrlicht verbrecherische Organisationen"). Seine Kritik an solcher Art von Zusammenkünften dürfte nicht nur von Mitgliedern und Freunden der DKP oder VVN geteilt werden ...


Arbeitskreis gegen Neonazismus:
HIAG verklagt Detmolder Antifaschisten

Vom 8. bis 22. November 1986 hing in der Stadtbücherei Detmold die Ausstellung "Der Neofaschismus in der BRD und Neonazismus in Lippe". Neben der Darstellung neonazistischer Gruppen wurde auch die als rechtsextrem einzustufende HIAG erwähnt. Die HIAG ("Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit") ist der Bundesverband der ehemaligen Soldaten der Waffen-SS. Diese Vereinigung dürfte den Leserinnen und Lesern der WAGE zur Genüge vom Treffen der 3. SS-Panzerdivision Totenkopf Ende Mai in Detmold bekannt sein. Am 18.11.1986 erhielten wir von dem für NRW zuständigen Rechtsanwalt (Schumacher, Lemgo) dieser Gruppe einen Brief, indem der Arbeitskreis aufgefordert wurde, die Ausstellungstafeln, die sich auf die HIAG beziehen, bis zum 20.11. zu entfernen. Gleichzeitig wurde dem Arbeitskreis eine Beleidigungsklage angedroht. Seitens des Rechtsanwaltes erfolgte außerdem eine Aufforderung zu einem persönlichen Gespräch mit dem angeschrieben Mitglied des Arbeitskreises. Es soll hier noch einmal kurz betont werden, dass es sich nicht um ein offizielles Treffen zwischen Arbeitskreis und HIAG gehandelt hat, da der Arbeitskreis nach wie vor die sofortige Auflösung dieses rechtsextremen Verbandes fordert, und auch dafür Aktivitäten unternommen hat, wie zum Beispiel den Boykottaufruf zum Volkstrauertag. Die HIAG nahm als getarntes Mitglied im "Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V." teil; sie legte in der Dörenschlucht sogar selbst einen Kranz nieder! Um die Hintermänner und Strukturen der HIAG-Lippe auszuforschen, wurde dem persönlichen Gesprächstermin zugestimmt. Ferner bot sich die Möglichkeit, die Argumentation der ehemaligen Waffen-SS-Mitglieder in Bezug auf den mit Sicherheit anstehenden Prozess besser kennenzulernen, und dadurch die Ausgangslage im Kampf gegen die HIAG zu verbessern.

Im Laufe des Gesprächs wurden die nachweislich von der Waffen-SS verübten Gräueltaten rigoros abgestritten. Außerdem wurde die Verbandszeitschrift "Der Freiwillige", dem sogar vom Verfassungsschutz Kriegsverherrlichung bescheinigt wird, vehement verteidigt. Über diese "Gesprächsergebnisse" konnte auch das Fazit des Rechtsanwaltes nicht hinwegtäuschen, das zur Versöhnung und Verständigung aufrief. Ganz im Gegensatz dazu stand seine offen ausgesprochene Drohung gegen ein Mitglied des Arbeitskreises, es persönlich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln fertigzumachen, da das Mitglied zum Schluss auf der durch das Gespräch bestärkten Forderung nach sofortiger Auflösung der HIAG beharrte.

Weil bei der Festlegung des Gesprächsthemas klar war, dass es notwendig sein würde, Aussagen des Rechtsanwaltes der HIAG auch notfalls bezeugen zu können, waren mehrere Mitglieder des Arbeitskreises gegen Neonazismus anwesend. Es war vorher jedoch nicht absehbar, dass mehrere HIAG-Leute kommen würden. Da es sich nicht um ein Geheimtreffen handeln sollte, fand das Gespräch in einer bekannten Detmolder Kneipe statt. Für die an diesem Gesprächstermin Beteiligten aus dem Arbeitskreis wird es sicherlich keine Wiederholung geben. Man kann sich bestimmt auch über diese Art der Vorgehensweise streiten. Die "Betroffenen" hoffen auf eine solidarische Diskussion (Terminabsprache über Kontaktadresse des Arbeitskreises) und auf eine weiterhin konsequente Arbeit aller Antifaschisten in Lippe für das gemeinsamne Ziel:

"Sofortige Auflösung der HIAG!"


Manfred Hilbrink:
HIAG verherrlicht verbrecherische Organisationen

Die "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" (HIAG) hat in letzter Zeit verstärkt versucht, sich von ihrer braunen Tradition und Verbundenheit "reinzuwaschen". So auch in jüngster Zeit gegenüber dem "Arbeitskreis gegen Neonazismus", dem sie in einem Schreiben sinngemäß bestätigte, dass sie - die HIAG - den Kampf des Arbeitskreises gegen neofaschistische Tendenzen unterstütze.

Welchen Charakter die HIAG hat und welche Ziele sie tatsächlich verfolgt, soll der nachfolgende Beitrag zeigen:

"Die "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS e.V." (HIAG) wurde bereits 1951 vom letzten Kommandanten der "Leibstandarte Adolf Hitler", Otto Kumm, gegründet. Allerdings war sie nicht der erste Zusammenschluss von Angehörigen dieser vom Nürnberger Militär-Tribunal zu einer verbrecherischen Organisation erklärten Mördertruppe nach der Befreiung. ( ... ) Die HIAG dagegen versuchte, sich als Dachverband von Traditionsvereinen auszugeben, in denen die ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen lediglich ihre Erinnerungen pflegen, ihre "Kameradschaft" beschwören und Vermißtenschicksale klären. Ein Blick in die Verbandszeitschrift "Der Freiwillige" oder die zahlreichen, im HIAG-SS zugehörigen Munin-Verlag erschienenenBücher beweist jedoch, dass das eigentliche Ziel der HIAG und der verschiedenen Traditionsverbände neben der Rehabilitierung der Waffen-SS das Propagieren der SS-Ideologie, besonders des Militarismus ist; diese SS-Führer bringen das Lehrgut der SS-Junkerschulen in die Innenpolitik der Bundesrepublik ein. ( ... )

Die HIAG, die im übrigen nicht nur ehemalige Waffen-SS-Angehörige, sondern jetzt auch jüngere "Fans" der SS-Truppe aufnimmt, hat in der Tradition der SS selbst, aber auch deren geheimen Nachfolgeorganisationen "Odessa" und "Spinne" entsprechend, zahlreiche Verbindungen zur internationalen Faschistenszene. Gute Beziehungen bestehen zu Faschisten in Spanien, in Belgien, in Frankreich, Irland, Lateinamerika u.a. Diese Verbindungen werden von jüngeren Neofaschisten gezielt genutzt. Ein Beispiel dafür ist der Kontakt zwischen Micael Kühnen und Leon Degrelle in Spanien. ( ... )

Über die internationalen Kontakte zwischen bundesdeutschen und ausländischen Neofaschisten auf der Basis der traditionellen internationalen Verbindungen der SS laufen auch die Vorbereitungen der Neofaschisten auf den 100. Geburtstag Adolf Hitlers im Jahre 1989.

Die Duldung der Waffen-SS-Traditionsverbände in der Bundesrepublik hat demnach mehrere zusammenhängende Aspekte: mit der HIAG können - entgegen der eindeutigen Rechtslage - Nachfolgeorganisationen der SS- und Waffen-SS-Einheiten unbehelligt aktiv sein; die Duldung der HIAG bedeutet zudem eine direkte Förderung der Rehabilitierung und Verherrlichung der faschistischen Verbrecherorganisationen und der militaristischen Ideologie insgesamt. Unter diesem Gesichtspunkt muss auch die Entscheidung von Bundesinnenminister Zimmermann gewertet werden, die HIAG nicht mehr in Verfassungsschutzberichten aufzuführen." (Aus: "Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland - Arbeits- und Diskussionspapier der VVN/BdA, April 1986)

Angesichts dieser Ausführungen stellt sich die Frage, wie Antifaschist/inn/en mit dieser Organisation umgehen. Ist es eine Möglichkeit, das Gespräch mit denen zu suchen, den Versuch des gegenseitigen Austausches zu machen, wie einige meinen?

Oder ist nicht eher der Auffassung zuzustimmen, dass es für Antifaschist/inn/en keine Gemeinsamkeiten geben kann. Im Gegenteil, es muss doch alles getan werden, um Einflussmöglichkeiten zu entziehen und überall ihren verbrecherischen Charakter zu offenbaren. Gemeinsame Gespräche bedeuten doch nur eine Aufwertung dieser Leute und erweckt nach außen den Anschein eines "Gentlemen-Agreement". Und so will doch keiner verstanden werden. Antifaschist/inn/en sollten doch diese Feinde der Demokratie durch Gespräche und Kontakte in ihrer minimalen Bedeutungslosigkeit nicht noch unterstützen, sondern ihnen konsequent jeden weiteren Nährboden entziehen. Denn wie sagte Bert Brecht vor vielen Jahren schon: " ... der Schoss ist furchtbar noch, aus dem das kroch!"


Redaktion Die Wage:
SS-Treffen fand in Privatschule Jäger statt

An dem Treffen im "Kaiserkeller" nahm für die HIAG auch der Rechtsanwalt Schumacher aus Lemgo teil. Schumacher, nach eigener Aussage selbst ehemals Soldat der Waffen-SS, genießt bei der HIAG offenbar volles Vertrauen: "Der Bundesvorstand der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS e.V. hat mich beauftragt, die Verunglimpfung dieses eingetragenen Vereins und seiner satzungsgemäßen Mitglieder in Ausstellungen und "Dokumentationen" im Lande NRW abzuwehren", teilte er mit Schreiben vom 17.11. dem Detmolder "Arbeitskreis gegen Neonazismus" mit.

Außer Schumacher waren noch ein paar ältere Herren mit der von Partie, die er als "Herr Falke, Sprecher der HIAG Detmold" und "Herr Franz, Sprecher der HIAG Lemgo" vorstellte. Dabei war auch ein Herr Kauert, der vor ein paar Wochen in einem Leserbrief an die Lippische Landes-Zeitung ausplauderte, das im Mai in Detmold geplatzte SS-Treffen habe doch stattgefunden, allerdings im Extertal (Kauert bezeichnet sich als ehemaliges Mitglied der "3. SS-Panzerdivision Totenkopf").

Dafür, dass das SS-Treffen im Extertal stattfinden konnte, habe er gesorgt, erklärte Schumacher. Er habe da nämlich einen alten Bekannten, den Inhaber der Privatschule Jäger (Extertal-Silixen). Bei dem sei sein Sohn zur Schule gegangen. Er habe den Herrn Jäger angerufen, ihm die Situation geschildert und ihn um Hilfe gebeten. Dieser habe sich bereiterklärt, seine Schule für die SS-Veteranen zur Verfügung zu stellen. Dass Schumacher bei Jäger Hilfsbereitschaft erwarten konnte, ist nicht weiter verwunderlich, denn Jäger ist auch als Freund des Rassisten-Regimes in Südafrika bekannt, für das er schon manche Werbeveranstaltung organisierte. Sollte Schumachers Behauptung stimmen, dann stellt sich die Frage, warum die Polizei in ihrer Presseberichterstattung nichts über das SS-Treffen im Extertal berichtete. War sie nicht informiert? Und der Extertaler Bürgermeister, Kreistagsabgeordnete und SPD-Bundestagskandidat Hermann Haack auch nicht?

Schumacher wußte auch von einem Lemgoer SS-Traditionsclub "Stille Hilfe" zu erzählen. Dieser Verein stehe, wie er sich ausdrückte, für die "allgemeine SS". Unklar blieb allerdings, warum sich der HIAG-Freund Schumacher von dieser Gruppe distanzierte.

Interessant auch Schumachers Behauptung, aus der Behörde des Regierungspräsidenten angerufen worden zu sein: man habe ihn gebeten, die Organisation von Feierlichkeiten anläßlich des Volkstrauertages zu übernehmen ...


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