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Mindener Tageblatt , 23.01.2004 :

Das steht in keinem Geschichtsbuch / Gesamtschüler erhalten Geschichtspreis / Mädchenerziehung im Nationalsozialismus aufgearbeitet

Von Claudia Hyna

Porta Westfalica-Lerbeck (mt). Zum Thema Mädchenerziehung im Nationalsozialismus hält die Regionalgeschichte wenig bereit. Ein Grund mehr für den Geschichtskurs der 13. Jahrgangsstufe der Gesamtschule sich damit zu befassen. Am Dienstag wird ihnen dafür ein Geschichtspreis verliehen.

"Das ist der Lohn für zahlreiche durchgearbeitete Mittagspausen und die ein oder andere Nachtschicht", meint Geschichtslehrer Bernd Wähler, der den angehenden Abiturienten hilfreich zur Seite stand. Herausgekommen sind dabei ein Aufsatz und eine DVD, auf der eine Zeitzeugin den Schülern Rede und Antwort steht.

Das Thema der Arbeit lautet "Untersuchungen zur Mädchenerziehung bei den Jungmädeln und beim BdM im Nationalsozialismus im Raum Porta Westfalica und Minden." Die Erinnerungen der Frauen informierten die Gesamtschüler über ein Stück erlebter Alltagsgeschichte.

"Und dann mussten wir das Deutschlandlied singen": Wenn Ruth Mielke von ihren Kriegserfahrungen berichtet, lässt das keinen unberührt. Nur wenige waren so offen wie sie und berichteten vor laufender Kamera von den Schrecken des Nationalsozialismus. So beschreibt die Neeserin, wie eines Tages ein Mädchen an den Zöpfen vom Schuldirektor aus dem Unterricht gezogen wurde. Auch hätten sie zusehen müssen, wie auf ihrem Schulhof drei Tschechen gehängt worden seien. Die Kinder sangen dazu.

Als sie kurz vor Kriegsende ihre Vereidigung verweigerte, drohte man ihr mit Erschießung. "Wenn du es mit deinem Gewissen vereinbaren kannst, dann tu es", habe sie geantwortet. Andere hätten den Soldaten dann von seinem Vorhaben abgebracht.

Schockiert von den Berichten

Doch es sind nicht nur solche negativen Erfahrungen, von denen die Zeitzeugen berichten. Viele haben ihre damaligen Erfahrungen reflektiert und standen ihnen kritisch gegenüber, andere jedoch sind immer noch überzeugt von ihrem Tun. "Teilweise waren wir richtig schockiert", beschreibt Sarah Machon ihre Eindrücke. Manche hätten die schöne Uniform gelobt, andere wiederum Tugenden wie Sauberkeit und Ordnung und einige wenige waren sogar noch von Hitlers Ideen angetan.

Bereits vor den Sommerferien hatten die Schüler mit den Vorbereitungen begonnen. Interviewbögen wurden erstellt, Seniorenheime abgeklappert, Gespräche geführt. Dann wurde vier Wochen sehr intensiv gearbeitet. "Unser Interesse stieg mit jeder Befragung mehr", meint Dennis Molzahn. "Was diese Menschen erlebt haben, steht in keinem Geschichtsbuch." Die Ergebnisse ihrer Arbeit stellen die Schüler auch beim Tag gegen Rechtsradikalismus vor, der am 2. Februar an der Gesamtschule stattfindet.

Erstmalig hatte der Verein zur Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Wehrmacht diesen Wettbewerb ausgeschrieben. Der Preis ist mit 250 Euro dotiert. Einen weiteren Preis erhält eine Gesamtschule in Gütersloh.


mt@mt-online.de

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