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Lippische Landes-Zeitung , 22.01.2004 :

Skalpell und Spritze ausgeliefert / Ausstellung im Staatsarchiv über Zwangssterilisation und "Euthanasie"

Detmold (Sam). Der Terror der Nazi-Diktatur hatte viele Gesichter - die Zwangssterilisation und die so genannte Euthanasie gehörten dazu. Menschen wurden wegen Krankheit, sozialer Auffälligkeit oder systemkritischer Äußerungen unfruchtbar gemacht oder ermordet. Die Ausstellung "Lebensunwert - zerstörte Leben", die das Staatsarchiv Detmold in Zusammenarbeit mit dem Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten (BEZ) zeigt, erinnert an die Opfer ebenso, wie sie den Fokus auf Tatorte und Täter richtet.

Zu sehen ist die Ausstellung vom 23. Januar bis 19. März. "Das ist etwas, was den Menschen so richtig unter die Haut geht." So beschreibt Dr. Jutta Prieur-Pohl, Leiterin des Staatsarchivs, ihre ersten Eindrücke. Wer den Weg zu Vitrinen und Stellwänden sucht, muss an einem nackten OP-Tisch vor steriler weißer Kachelwand vorbei. Der Betrachter mag sich vorstellen, wie schutzlos die Opfer den Skalpells und Todesspritzen der systemkonformen Weißkittel-Träger ausgeliefert waren.

Das Gefühl der Beklemmung wird weiter genährt von Briefen, die über alltägliche Denunziation berichten. So schrieb eine Frau an die Behörden, um ihre schwangere Stieftochter als liederlich und "Männern leicht zugänglich" anzuzeigen und die Zwangssterilisation zu fordern. Auf 15 Schautafeln wird an solches Unrecht erinnert. "Es hätte uns alle treffen können", sagt Dr. Johannes Kistenich (Staatsarchiv). Gemeinsam mit Archivarin Barbara Kuhn hat er die BEZ-Wanderausstellung durch Exponate aus den Beständen des Staatsarchivs ergänzt.

Barbara Kuhn ging es darum, das "Einzelschicksal aus der Masse herauszuziehen". Die Briefe seien dafür bestens geeignet. Sie zeigten, wie kaltblütig der Verwaltungsapparat bei Zwangssterilisationen und "Euthanasie" vorgegangen sei. "Es gab Formulare. Die wurden ausgefüllt - so wie heute, wenn man einen Personalausweis beantragt", erklärt Kuhn.

Die Ausstellung beleuchtet nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus. Behandelt wird auch die Geschichte der Entschädigung und Rehabilitation von Opfern der Zwangssterilisation.

Margret Hamm (BEZ) weiß von Menschen, die mehr als 30 Jahre um eine Entschädigung kämpfen mussten. Noch heute sei das 1933 von den Nazis eingeführte "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" nicht annulliert, sondern 1974 lediglich außer Kraft gesetzt worden. Dass sich die Bundesrepublik Deutschland davor scheue, habe "rein monetäre Gründe", meint Hamm.

Die Ausstellung wird am heutigen Donnerstag um 18 Uhr eröffnet und ist montags von 8 bis 18, dienstags bis donnerstags von 8 bis 16 und freitags von 8 bis 13 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos. Führungen können vereinbart werden unter (0 52 31) 76 60.


Detmold@lz-online.de

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