Die Glocke ,
21.01.2004 :
Geschichtsunterricht der anderen Art / Zwangsarbeiter-Schicksale hautnah
Sendenhorst (ulf). Das war einmal Unterricht der anderen Art in der Sendenhorster Realschule, nämlich Geschichte live. Denn mit Irmina Kroll und Michael Balanowski waren gestern zwei ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen bzw. der Ukraine zu Gast und berichteten Schülern der Klassen 9 und 10 von ihrem Schicksal.
Balanowski hatte die Herzen der Jugendlichen schnell gewonnen, präsentierte er sich doch gleich zu Beginn als echter Entertainer: "Geben Sie mir Wasser. Ich stell´ mir dann vor, es wäre Schnaps", lachte er auf die Frage von Lehrerin Anette Beinker nach seinem Getränkewunsch und prostete den Schülern zu. Dann jedoch wurde es ernster, als er seine Geschichte erzählte: Mit 14 Jahren nach Deutschland zwangsweise verfrachtet, musste er zunächst in einem Lager arbeiten und magerte fast völlig ab. "Als ich in Ihrem Alter war, wog ich zeitweise nur noch 28 Kilogramm", erklärte er den entsetzten Jugendlichen. Dann jedoch sei er nach Albersloh auf den Bauernhof Schlieper geschickt worden, wo es ihm wesentlich besser erging und er wieder zu Kräften kam.
Doch auch nach dem Ende des Krieges nahm sein Leben zunächst keinen guten Verlauf. Auf einen Erlass von Stalin wurden sämtliche Zwangsarbeiter nach Sibirien geschickt, und auch Balanowski musste drei Jahre in einem Gulag verbringen. Irmina Kroll, mit zwölf Jahren nach Deutschland deportiert, hob dagegen besonders das mutige Verhalten des Landwirtes August Telges hervor, der ihre Mutter nach Leibeskräften unterstützt und ihr so ermöglicht hatte, die Tochter zu sich nach Albersloh zu holen.
Insgesamt zeigten sich die Schüler und Schülerinnen sehr interessiert und fragten immer wieder nach. Besonders im Blick hatten sie dabei auch Balanowskis Schicksal in Sibirien und die heutige Situation der ehemaligen Zwangsarbeiter. Auf diese Weise vergingen die beiden Schulstunden wie im Fluge, und selbst das Pausenläuten löste nicht die sonst so übliche Hektik in der Klasse aus.
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