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Bünder Tageblatt / Neue Westfälische , 20.10.2006 :

Dem Holocaust entflohen / Netzwerk-Gruppe berichtet über Erlebnisse mit jüdischen Überlebenden aus Bünde

Von Karl-Hendrik Tittel

Bünde. "Wir versuchen, die Personen vorzustellen, die hinter den Zahlen der Toten und Ermordeten stehen und wollen den Opfern ein Gesicht geben", beschreibt Leiterin Christina Whitelaw ein Ziel der Netzwerk-Gruppe des Gymnasiums am Markt. Am Mittwochabend schilderten die Teilnehmer der USA-Reise ihre Begegnung mit ehemaligen Bünder Juden. Das Publikum in der Aula lauschte interessiert den Geschichten.

Seit 1999, als Arbeitsgruppe des Marktgymnasiums und in Kooperation mit der Realschule Nord entstanden, beschäftigt sich "Netzwerk" mit dem Leben der Bünder Juden vor und während des Holocaust. "Wir wollen aber nicht nur die Vergangenheit betrachten, sondern auch für unsere Gegenwart Schlüsse ziehen und nicht wegschauen, wenn heutzutage Menschenrechte verletzt werden", so Schüler Tim Walter.

Schon im Jahr 2001 reiste die Gruppe auf Einladung von Werner Spanier, der ein Jahr zuvor mit den Netzwerkern in Bünde in Kontakt kam, nach Denver. Worauf 2004 ein Gegenbesuch von Jugendlichen aus Colorado folgte. So entstand ein Netzwerk zwischen Bünder und amerikanischen Jugendlichen, Zeitzeugen und Überlebenden des Naziterrors. Neben Christina Whitelaw sowie Sigrid Höppker von der Realschule Nord und Monika Saathoff vom Städtischen Gymnasium Löhne, reisten die Schüler Christoph Kleineberg, Tim Walter, Christin Könemann, Charlotte Braun, Johanna Nold, Fabian Bienen, Christina Schlüter, Kathrin Kleineberg und Peter Blase in die Staaten.

Nachdenklich und besonnen, teils amüsierend, dabei aber stets lebendig präsentierten die Netzwerker die Impressionen ihrer Reise, die auch in einer Dokumentation zusammengefasst werden sollen. "Chicago war beeindruckend", sagt Tim Walter von der drittgrößten Stadt der USA, in der die Bünder neben ihrer Arbeit auch mal Zeit für Sightseeing hatten. Intensiv wurde die Begegnung mit Mitgliedern der "Play for Peace"-Organisation geschildert, die an Konzepten arbeitet, um Konflikte spielerisch zu lösen. Aus diesem Treffen entstand die Idee, "Play für Peace" auch in Bünde zu etablieren. Vertreter der Organisation werden im Dezember hierher kommen.

In Chicago konnten die Bünder einen Enkelsohn von Julius Rosenwald kennen lernen: Peter Ascoli. Der Vater von Julius Rosenwald, Samuel, emigrierte 1856 im Alter von 26 Jahren allein aus Bünde nach Amerika und heiratete dort. Als erstes von sechs Kindern wurde Julius 1862 geboren und wurde berühmt – hat er doch das erste Versandkaufhaus der Welt, Serars and Roebucks, in Chicago zur Blüte gebracht.

Beim Besuch des jüdischen Altenheims "Self-Help-Home" stellten die Bünder ihre Arbeit vor und stießen auf reges Interesse aber auch auf einige traurige Reaktionen. "Wir waren oft den Tränen nahe, als uns von den persönlichen Schicksalen erzählt wurde", so Charlotte Braun. Wie schon 2001 trafen die Netzwerker ehemalige Bünder Juden, die damals vor den Nazis geflohen waren.

So auch Alfred Spiegel, Miriam Raskin und Thekla Kahn, die sich erfreut von der Arbeit der Gruppe zeigten. Der zweite Teil ihrer Reise führte die Bünder nach Denver – ausführlich wurde ihnen vom "Wildwater-Rafting", dem Besuch des jüdischen Ferienlagers "Shwayder-Camp" und den freundlichen Gastfamilien erzählt. In Denver trafen die Netzwerker weitere Holocaustüberlebende und führten viele Gespräche. "Wir mussten erst Vertrauen schaffen, aber wir wurden von Rabbi Ray Zwerin und der Jugendleiterin Bobbee Seldin, die wir schon von unserer ersten Reise und dem Gegenbesuch kannten, unterstützt", so die Schüler. Die Zuschauer zeigten sich bewegt und honorierten das Engagement der Jugendlichen und Lehrer. "Es ist ein facettenreicher Abend geworden, der uns an jeder Ecke berührt hat", äußerte auch Schulleiter Bernhard Herrich.


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