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Mindener Tageblatt , 20.01.2004 :

Falsches Signal löste die Katastrophe aus / Vor 60 Jahren starben bei einem Zugunglück an der Porta 79 Menschen / Eine Augenzeugin erinnert sich

Von Wilhelm Gerntrup

Porta Westfalica (gp) Eine kaum fassbare Schreckensnachricht machte vor exakt 60 Jahren hierzulande wie ein Lauffeuer die Runde. Bei einem Zugunglück an der Porta Westfalica waren 79 Menschen ums Leben gekommen.

Der Aufprall zweier D-Züge war die bisher größte Eisenbahnkatastrophe im heimischen Raum. Es war der 20. Januar 1944. Fünf Jahre nach Kriegsbeginn zeichnete sich ein katastrophales Ende für die Deutschen ab. Immer öfter nahmen alliierte Jagdflugzeuge Straßen und Gleisanlagen ins Visier.

Auch an diesem Tage hatte es zwischen Bad Oeynhausen und Bückeburg mehrmals Fliegeralarm gegeben.Gegen 18 Uhr waren von Bielefeld aus im Abstand von elf Minuten zwei D-Züge nach Hannover unterwegs. Sie waren voll besetzt mit Soldaten, Familien und Arbeitsdienstleuten. Einen Halt im Bahnhof Porta sah der Fahrplan nicht vor.

Um 18.38 Uhr brauste der erste Zug aus der Dunkelheit der Vennebecker Kurve am grün zeigenden Einfahrsignal vorbei. Kurz darauf war ein schrilles Quietschen und Zischen zu hören. Ein Zuginsasse hatte die Notbremse gezogen. Sein Name und der Beweggrund konnten nie festgestellt werden. Der Zug kam in Höhe des Hotels Großer Kurfürst zum Stehen. Noch während sich der Fahrdienstleiter einen Überblick zu verschaffen suchte, wurde ihm der nachfolgende D-Zug angesagt. Beinahe mechanisch zog er den Signalhebel erneut auf Fahrt und gab damit für den folgenden Zug grünes Licht. Er sei durch das ständige Aufheulen der Alarmsirenen durcheinander gewesen, gab der Bahnbeamte später zu Protokoll.

Erst ein Knall, dann ein Feuerball

Was dann um exakt 18.51 Uhr passierte, wird von Augenzeugen als schrecklicher Albtraum beschrieben. Zuerst gab es einen explosionsartigen Knall. Dann erhellte ein rot glühender Feuerball die Dunkelheit. In die einsetzende Stille hinein war das Wimmern und Schreien von Menschen zu hören.

Den kurz darauf eintreffenden Helfern, Ärzten, Rote-Kreuz-Sanitätern und Feuerwehrleuten bot sich ein schreckliches Bild. Lok, Packwagen und fünf Personenwagen des aufprallenden und die beiden letzten Wagons des haltenden Zuges waren förmlich durch die Luft geschleudert worden und brannten. Einer hatte ein gegenüber dem Großen Kurfürst stehendes, kleines Haus unter sich begraben.

"Ich wusste zuerst überhaupt nicht, was passiert war", erinnert sich Helga Bokeloh aus Neesen. Sie hielt sich als kleines Mädchen zum Zeitpunkt des Unfalls in dem flachen, einst von der Bahn als Werkstatt genutzten Gebäude auf. Die Neunjährige war zusammen mit ihrem drei Jahre alten Brüderchen Werner bei der Oma zu Besuch. Außerdem war eine Tante der beiden Kinder im Haus. "Wir waren in der Küche, als es plötzlich um uns herum krachte und zischte", so die heute 69-Jährige, die damals noch Helga Hüpfel hieß. "Ich wurde durch die Luft geschleudert, dann war das Licht aus, und ich konnte über mir das Dach brennen sehen."

Nach endlos scheinenden Minuten tauchte zwischen den kaputten Deckenbalken das Gesicht eines Soldaten auf. Er trug das Mädchen behutsam nach draußen. Dann brachte er die Tante und die Großmutter ins Freie. Die alte Frau kam über den Schock nie wieder hinweg. Sie blieb bis zu ihrem Tode stumm.

"Es war entsetzlich", tut sich auch Helga Bokeloh mit der Erinnerung schwer. "Überall lagen Tote und Verletzte, verkohlte Leichen waren aus dem Wagon in Omas Haus gefallen." Plötzlich fiel ihr in all dem Durcheinander der kleine Werner ein. "Ich will noch mein Brüderchen", rief sie dem fremden Retter zu. Der verschwand sofort wieder in der Dunkelheit. Nach längerer Zeit kam er zurück. Er hatte den Dreijährigen auf dem Arm.

Elf Jahre später stand der Retter vor der Tür

Erst nach dem Ende der Bergungsarbeiten wurde das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich. Insgesamt waren 79 Menschen ums Leben gekommen, darunter 20 Frauen und vier Kinder unter 14 Jahren. 64 Menschen überlebten zum Teil schwer verletzt, 15 von ihnen blieben auf Dauer verstümmelt.

Für Helga Bokeloh hielt das Schicksal noch eine unerwartete, versöhnliche Fortsetzungsgeschichte bereit. Nach dem Krieg hatten ihre Eltern mehrmals vergeblich versucht, den Retter der Kinder wiederzufinden. Dann, elf Jahre später, stand er plötzlich vor der Tür. "Ich bin Heinrich Voß aus Bochum", sagte er. "Ich wollte nur mal sehen, wie es meiner kleinen Freundin aus dem Bahnhäuschen an der Porta geht."

Aus dem unverhofften Wiedersehen erwuchs eine lebenslange Freundschaft. Die Familien Hüpfel und Bokeloh aus Neesen und Voß aus dem Ruhrgebiet treffen sich seither mindestens einmal im Jahr. Die Verbindung zwischen ihnen dauert bis heute fort.


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