Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische ,
19.01.2004 :
Mutter wartet noch auf Abschiebung / Nach Nervenzusammenbruch auf Frankfurter Flughafen wurde Rita P. in die Justizvollzugsanstalt Willich gebracht
Von Hans Kracht
Espelkamp. Wadim P. und seine Kinder Helene (16) und Maksim (8) sind vor wenigen Tagen nach Kirgisien abgeschoben worden (unsere Zeitung berichtete am 13. Januar). Wadims Frau Rita hatte auf dem Flughafen Frankfurt/Main einen Nervenzusammenbruch erlitten. Sie wurde daraufhin zur Justizvollzugsanstalt Willich (nahe Krefeld) gebracht, wo sie zurzeit auf ihre Abschiebung wartet. Die soll nun am 23. Januar vollzogen werden.
Der Rechtsanwalt der Familie P., Werner Krempels aus Freiburg, hat inzwischen eine Petition an den Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages gerichtet, um die Abschiebung zu verhindern.
Bereits im Juli 2001 sollte die vierköpfige Familie aus Espelkamp nach Kirgisien abgeschoben werden, weil Wadim P. die deutsche Staatsangehörigkeit weder vom Verwaltungsgericht Minden noch vom Oberverwaltungsgericht Münster zuerkannt wurde.
Seine Tante hat sie 1991 erhalten. Seine Mutter kam mit ihren Kindern 1993 nach Espelkamp, und auch hier gab es keine Probleme bei der Einbürgerung. Sein Cousin lebt hier und weitere Angehörige der großen Familie. Warum also sollte es Probleme geben, als Wadim mit seiner Familie Ende 1999 mit so genannten Schengen-Visa von Kirgisien in den Westen aufbrach?
Doch die Ausländerbehörde des Kreises Minden-Lübbecke sah es anders, nahm Wadim P. seinen kirgisischen Pass ab, forderte zur Ausreise auf und drohte mit Abschiebung. Die Familie blieb dennoch bei Wadims Mutter in Espelkamp.
Mitte 2001 scheiterte die Abschiebung, weil Wadim P. einen Asylantrag stellte. Er wurde "im Rahmen des Asylverfahrens der Stadt Schwabach in Bayern zugewiesen", und "die Ehefrau und die beiden Kinder wurden ebenfalls nach Bayern verteilt", wie es in einem Schreiben der Mindener Ausländerbehörde heißt.
Doch Rita P. und ihre Kinder blieben in Espelkamp. Schließlich besuchte Helene inzwischen das Söderblom-Gymnasium und Maksim die Ostlandschule. Die laufenden Asylanträge wurden im September letzten Jahres rechtskräftig abgelehnt.
Nun also sollte die Familie abgeschoben werden, entschied die Behörde. "Ein Amtshilfeersuchen der Stadt Schwabach (für Wadim P.) sowie der Regierung von Mittelfranken (für Rita P. und die Kinder) liegt vor", schrieb die Ausländerbehörde am 12. Januar und weiter:
"Es war bekannt, dass die Familie unerlaubt bei der Mutter des Ehemannes wohnte. Als die Ausländerbehörde morgens (um 6 Uhr, Anm. d. Red.) die Wohnung betrat, traf sie nur die beiden Kinder an. Der Ehemann sollte angeblich in Schwabach wohnhaft sein. Er wurde dort tatsächlich von der Polizei angetroffen ... "
Auch Rita P. hielt sich nicht in der Wohnung ihrer Schwiegermutter auf. "Erst nach 1 1/2 Stunden und dem mehrmaligen Hinweis, dass die Kinder dann allein mit dem Vater abgeschoben werden, brachte schließlich der Cousin ... die Betroffene zur Wohnung. Wo sie sich tatsächlich aufgehalten hatte (auch die Wohnung des Cousins wurde durchsucht, Anm. d. Red.) ist unbekannt", so die Ausländerbehörde. "Die Ausländerin", heißt es in dem Schreiben vom 12. Januar an das Amtsgericht Krefeld, "muss somit als untergetaucht betrachtet werden".
Schwächeanfälle sollen simuliert worden sein
Dies und andere Vorkommnisse, wie das Verhalten von Ritas Schwiegermutter, sind nach Ansicht der Ausländerbehörde Grund genug für eine Abschiebungshaft. Außerdem habe Rita P. während der Fahrt zum Flughafen "einmal einen scheinbaren Schwächeanfall gehabt. Auch am Flughafen wurden solche Schwächeanfälle geäußert." Dies verwundert die Ausländerbehörde, "da sie morgens in der Wohnung hellwach und sehr konzentriert wirkte. Sie konnte sehr überlegt und ohne Anzeichen einer Schwäche mit der Ausländerbehörde diskutieren."
Die Ausländerbehörde attestiert, auch anhand eines ärztlichen Attestes, "dass sie diese Schwächeanfälle nur simuliert hat, ... um eine Abschiebung zu verhindern". Befürchtet wird zudem, das Rita P. "erneut untertaucht". Aufgrund ihres Verhaltens "muss der nächste Abschiebungsflug mit Begleitung gebucht werden".
Der Neuen Westfälischen liegt die Diagnose eines Espelkamper Arztes für Rita P. vor. Dieser Arzt hat bei ihr Hypertonie, Sinustachykardie und Orthostasesyndrom diagnostiziert, also Bluthochdruck, Herzrasen und Kreislaufschwäche.
Ob die Petition des Rechtsanwalts Krempels Erfolg haben wird und damit zumindest die Abschiebung von Rita P. verhindert werden kann, bleibt abzuwarten. Derweil sind Wadim P. und die beiden Kinder in Bischkek in Kirgisien angekommen. Dort leben keine Verwandten der Familie mehr. Wo sie unterkommen und wie sie ihren Lebensunterhalt dort bestreiten wollen, sind derzeit Fragen, die Anna P. quälen. Die 66-Jährige hat es sich nie vorstellen können, dass ihr Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zuerkannt bekommt, so wie ihr selbst und ihren anderen drei Kindern.
Sie hat viele Jahre lang nach ihrer Verschleppung 1945 aus Deutschland nach Sibirien dort unter schwersten Bedingungen gelebt und gearbeitet. Später wohnte die Familie unter anderem nahe Wladiwostok; das Gebiet war als Sperrzone ausgewiesen, wie Anna P. im Gespräch mit unserer Zeitung erzählte. So sei es damals auch nicht möglich gewesen, dass ihr 1965 geborener Sohn Wadim, nachdem er in Kirgisien seinen Wehrdienst zu absolvieren hatte, anschließend zu ihr kommen konnte.
Wadim war kein unehelicher Sohn, wie die NW berichtete, sondern neben Andreas einer von zwei Söhnen aus ihrer ersten Ehe. Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie wieder und hatte mit ihrem zweiten Mann ebenfalls zwei Kinder, Olga und Aleks.
Anna P. ist von den deutschen Behörden als Vertriebene anerkannt worden und drei ihrer Kinder als Nachkommen ebenfalls. Warum das nun nicht auch auf ihren Sohn Wadim zutreffen soll, nur weil dieser damals nicht aus Kirgisien ausreisen durfte, ist ihr völlig unbegreiflich. Doch sie hofft immer noch, das Deutschland ein humanes Land ist und die Gerichte ein Einsehen haben werden.
lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de
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