www.hiergeblieben.de

Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 14.09.2006 :

Bestochen, um ins Lager zu kommen / KZ-Überlebender Arno Lustiger berichtete

Von Thomas Dohna

Kreis Herford. Seinen Vater hat Arno Lustiger um zwei Wochen verpasst. Lange hatte der polnische Jude ihn nicht gesehen. Sie waren nach Beginn des Zweiten Weltkrieges getrennt worden. Arno Lustiger, 82 Jahre alt und Überlebender verschiedener deutscher Konzentrationslager während der Nazi-Herrschaft, sprach vor Gästen der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Ernst-Lohmeyer-Haus.

Lustiger kam aus einem bürgerlichen Elternhaus. Die Familie lebte in der Stadt Bedzin im polnischen Oberschlesien. Mehr als die Hälfte der Einwohner waren Juden. "Es gab alles was man zum Leben brauchte", berichtete der ehemalige Unternehmer. Ein Leben, zu dem politische und auch in gewissem Maße soziale Auseinandersetzungen gehörten.

In einem Urlaub im Sommer 1939 erreichte ihn ein Anruf seines Vaters: "Es gibt Krieg, kommt nach Hause." Kaum waren sie daheim, flüchteten sie per Auto Richtung Osten. Nach 250 Kilometern ging ihnen das Benzin aus und die Front überrollte sie. Sie entschlossen sich, nach Bedzin zurückzufahren. Eine mutige Tante fragte bei einer Wehrmachtsstelle einen deutschen Offizier nach einem Passierschein. Der, über die näheren Umstände informiert, gab der jüdischen Frau neben dem Passierschein auch einen Bezugsschein für Benzin, einzulösen bei Wehrmachtstankstellen. Der Vater kam später nach.

In Bedzin sah Lustiger, was der Krieg für die Juden in Polen bedeutete. Ein Einsatzkommando hatte nicht einmal eine Woche nach Beginn des Krieges Juden in die Synagoge gesperrt und sie dort bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Übrigen kamen in ein Ghetto, das später geräumt wurde. Die Familie Lustiger versteckte sich außerhalb des Ghettos, bestach dann Wachmannschaften, um in einem Arbeitslager unterzukommen. Von den deutschen Vernichtungslagern wussten sie nichts.

An einer Stelle bricht ihm die Stimme

Lustiger erzählt stehend, ruhig fast lakonisch, ohne Übertreibungen, beteiligt, aber nicht bewegt. Selbst Ereignisse, wie die Todesmärsche von Konzentrationslager zu Konzentrationslager oder die Beschießung durch Wachmannschaften oder die Bombardierung durch Alliierte schildert er in aller Ruhe. Nur an einer Stelle bricht ihm die Stimme. Er soll auf Nachfrage einer Besucherin erzählen, was aus dem Vater geworden ist. Er war im Konzentrationslager Blechhammer in Schlesien, wurde krank und nach Auschwitz ins Gas geschickt. Zwei Wochen später kam sein Sohn in Blechhammer an.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

zurück