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Mindener Tageblatt , 13.09.2006 :

Gericht als freier Mann verlassen / Verfahren gegen moslemischen Prediger vorläufig eingestellt / Vorwürfe nicht bewiesen

Minden (mt). Das Strafverfahren gegen den 40-jährigen Ägypter Usama Sadik A. ist vorläufig eingestellt worden. Die Vorwürfe gegen den "Islam-Prediger", er habe in zwei Predigten Volksverhetzung begangen, standen zu offensichtlich auf tönernen Füßen.

Von Jürgen Langenkämper

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld, der belastendes Material des Bundeskriminalamtes (BKA) über den Generalbundesanwalt zugegangen war, hatte Anklage auf Grund von zwei Predigten erhoben. Beide hatte ein - zeitweilig ebenfalls ins Visier der Fahnder geratener - Glaubensbruder des Angeklagten auf Audio- und Videocassetten mitgeschnitten. Bei der Auswertung von 1800 (!) im Februar 2003 beschlagnahmten Hörcassetten und 250 Videocassetten - überwiegend mit kommerziellen Filmen aus dem Nahen Osten, einigen Hollywood-Streifen und im geringerem Umfang Predigten zum Islam - stießen vom BKA beauftragte Dolmetscher auf die beiden Predigten - angeblich vom Februar 2001 - mit Passagen, die zur Tötung von Ungläubigen aufriefen, so der Vorwurf.

In der siebenstündigen, von mehreren Pausen unterbrochenen Sitzung des Schöffengerichts übersetzten die BKA-Dolmetscher mit Unterstützung des geladenen Prozessdolmetschers die beiden Mitschnitte aus dem Arabischen, statt sich auf die vorliegenden Inhaltsangaben und BKA-Zusammenfassungen zu verlassen. In der Auslegung einer Koransure hatte der Angeklagte einem kleinen Kreis von Gläubigen, darunter auch Kinder, wie auf dem Video zu sehen war, in sehr ruhigem Tonfall geschildert, dass neben Glaubensbrüdern auch Botschafter und Beschützer von Moslems sowie diejenigen, "die Gott verboten hat zu töten", geschützt seien. Andere dürften getötet werden. Die Abgrenzung blieb unklar, auch wenn der Angeklagte ergänzte, die besagte Sure beziehe sich auf Handlungen im Krieg.


Spätestens als der Prediger vor laufender Kamera kurz und bündig erklärte, Selbstmord dürfe niemand begehen, stellte der Staatsanwalt einen "ganz schönen Widerspruch zu meiner Anklage" fest.

Datierung nicht vollkommen geklärt

Die inhaltlich schwache Anklage geriet weiter unter Druck, als ein im Gerichtssaal anwesender Beobachter sich und seine Söhne auf dem Video wieder erkannte und glaubhaft versichern konnte, dass er an angeblichen Aufnahmedatum, dem 10. Februar 2001, nicht in Minden, sondern bei seinem sterbenskranken Vater in Tunesien gewesen sei. Bei einer früheren Datierung aber hätte die zur Last gelegte Tat verjährt sein können.

Zudem meinte der auch vom BKA observierte und vernommene Zeuge - auch gegen ihn war der Tatverdacht wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung fallen gelassen worden - sich zu erinnern, die Videoaufnahme müsse bereits kurz nach der Ankunft des Ägypters bei einem ersten Zyklus von Predigten ab Herbst 1996 entstanden sein. Eine genaue Datierung schien dem Gericht aber nicht zweifelsfrei möglich.

Auch Richterin Niewerth sah die Tatvorwürfe "relativiert", meinte gleichwohl in Richtung des Angeklagten, er sei "vielleicht mit Worten nicht vorsichtig, wie vielleicht zum damaligen Zeitpunkt zu erwarten" - sieben Monate vor den Anschlägen vom 11. September 2001.
200 Stunden Arbeit als Auflage

Verteidiger Dombrowski aus Hildesheim vertritt A. seit 1996, als er auf Grund eines gefälschten Prozesses an Ägypten ausgeliefert werden sollte, wo er in Abwesenheit zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war. Der Anwalt kündigte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Münster gegen den am Montag bekannt gegebenen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Minden bezüglich einer Ausweisungsverfügung des Kreises Minden-Lübbecke an (MT vom 12. September). Die 7. Kammer hatte sich in ihrer Begründung auf die ihr schriftlich vorliegenden, jetzt entkräfteten Tatvorwürfe gestützt.


mt@mt-online.de

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