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Neue Westfälische , 13.09.2006 :

OWL zeigt Nazis die rote Karte / Polizei und Gegendemonstranten begleiten Aufmärsche der Rechtsextremen

Von Hubertus Gärtner

Bielefeld. Die Region Ostwestfalen-Lippe wird an diesem Samstag auf eine harte Probe gestellt. Rechtsradikale Gruppen wollen in Bielefeld, Gütersloh, Minden und vermutlich auch noch an anderen Orten demonstrieren. Sie haben zu einem "Großkampftag" gegen "Sozialabbau und Rentenklau" aufgerufen. Die Polizei erwartet etwa 200 Neonazis. Gleichzeitig wird mit mehreren tausend Gegendemonstranten gerechnet.

"Wir hatten keine Chance, die Kundgebungen der Rechten im Vorfeld zu verbieten", sagt der Bielefelder Polizeipräsident Erwin Südfeld unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses habe die Demonstrationsfreiheit als sehr hohes Gut eingestuft – und sie auch rechtsextremen Personengruppen zuerkannt. Die Polizei sei dazu da, dieses demokratische Grundrecht zu schützen, sagt Südfeld.

In Bielefeld wollen die Neonazis am Samstag von 10 bis 16 Uhr aufmarschieren. In Gütersloh und Minden sind jeweils Kundgebungen von 13 bis 22 Uhr geplant. Die Demonstrationen seien von den in der Region bekannten Rechtsextremisten Christian Menzer und Markus Winter angemeldet worden, sagte der Polizeipräsident. Die Gruppierung "Nationale Offensive Schaumburg" habe gestern noch eine weitere Demonstration in Herford, Lübbecke, Löhne, Porta Westfalica oder Espelkamp angekündigt, so der Leitende Polizeidirektor Andreas Krummrey.

Fußgängerzonen bleiben für rechtsradikale Marschierer tabu

Zahlreiche gesellschaftliche Gruppierungen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund, Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen, Antifaschisten, Betriebsräte und Politiker, wollen allerdings ein machtvolles Zeichen gegen die Rechtsradikalen setzen. Allein in Bielefeld sind fünf Gegenkundgebungen angekündigt, in Minden und Gütersloh weitere vier.

Mehr als 2.000 Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen werden alles tun, um Ausschreitungen zu verhindern. Im Polizeipräsidium Bielefeld, dem die versammlungsrechtliche und einsatztaktische Leitung übertragen wurde, herrscht die Sorge, dass den Rechtsradikalen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden könnte, als ihnen tatsächlich zusteht. Zumindest in Ostwestfalen-Lippe sei die rechte Szene "nicht merklich größer geworden", sagt der Leiter des polizeilichen Staatsschutzes in Bielefeld, Dirk Butenuth. Nach seinen Angaben existiert in Gütersloh eine "kameradschaftsähnliche" rechtsgerichtete Gruppe mit etwa 20 Personen. Lediglich neun Mitglieder könne die "Nationale Offensive Schaumburg" aufbieten. Dazu gebe es eine kleine rechte "Mischszene" in Herford, Minden und Bielefeld. Am Samstag würden diese Gruppen voraussichtlich Unterstützung aus dem Ruhrgebiet, dem Sauerland und Niedersachsen erfahren, sagt Butenuth.

In Anbetracht der Gefahrenlage hat die Polizei den rechten Demonstranten viele Auflagen gemacht. So dürfen sie weder Bomberjacken, Springerstiefel und Fackeln tragen noch nationalsozialistische Lieder singen. In Bielefeld, Gütersloh und Minden wurden auch die Marschwege verlegt. Die Rechten dürfen nicht durch die Fußgängerzonen marschieren.

Sollte es Straftaten geben, werde die Polizei einschreiten, sagte der Polizeiführer Andreas Krummrey. Er fürchtet, dass es auch aus dem linken Lager aggressive Attacken geben könnte. Um die direkte Konfrontation zu vermeiden, werde die Polizei rechte und linke Demonstranten "nicht auf Bierflaschenwurfnähe" zusammenkommen lassen.

Breites Bündnis gegen rechts

Wenn einige hundert Rechtsradikale am Samstag in OWL aufmarschieren, dann werden sie auf ein breites Bündnis demokratischer Initiativen treffen. In Bielefeld, Minden und Gütersloh sind mindestens neun Gegenkundgebungen geplant. "Wir halten dagegen" heißt beispielsweise eine Veranstaltung, die von der Stadt Bielefeld, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Evangelischen Kirchenkreis organisiert wird. Diese Demonstration beginnt um 10 Uhr am Landgericht. Um 11 Uhr ist dann eine Kundgebung am Jahnplatz geplant.

Besonders jungen Menschen müsse deutlich gemacht werden, dass sich soziale Probleme nicht mit rechten Parolen lösen lassen, sagt der Bielefelder Sozialpfarrer Udo Halama. Ähnlich äußerte sich auch der Mindener Superintendent Jürgen Tiemann.


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