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Bielefelder Tageblatt (SH) / Neue Westfälische , 09.09.2006 :

Kommentar / Verkauf des Paul-Gerhardt-Gemeindezentrums / Beschädigte Gemeinschaft

Von Wilfried Massmann

Bis Jahresende, so die Verkaufspläne, sollen die Verhandlungen der Neustädter Mariengemeinde mit der Jüdischen Kultusgemeinde über den Verkauf der Paul-Gerhardt-Kirche abgeschlossen sein. Spätestens Ostern 2007 müssen die Christen das Gotteshaus räumen. Dann wird der Kirchturm abgetragen, Kreuze und sonstige christliche Symbole entfernt. Kaufen die Juden nicht, ist der Abriss des Gotteshauses vorgesehen.

Über Verkauf oder Abriss ist ein erbitterter Streit zwischen Befürwortern und jenen, die ihr Gemeindezentrum erhalten wollen, entstanden. Es geht nicht mehr allein um die Sache. Scharfe Worte im Jargon von Kesselflickern und böse Unterstellungen machen die Runde. Der Vorwurf des "Vertragsbruchs" gehört zu den mildesten Injurien. Außer Zorn und Ärger sind nicht wenige Gemeindeglieder peinlich berührt, dass es überhaupt soweit gekommen ist. Die empfundene Lieblosigkeit amtlicher Geistlichkeit schmerzt doppelt. Ein pensionierter Pfarrer bedauernd: "Wir sind eine beschädigte Gemeinschaft."

Kirchenverkäufe und Umnutzungen sind keine Besonderheit mehr. Jede Trennung verdient aber individuelle Prüfung. Arbeitslosigkeit, Kirchenaustritte, demografischer Wandel und – wie beim Staat – schlechte Haushaltsführung sind Ursachen der Misere. Ein Theologe erklärte kürzlich: "Jede Schließung und jeder Verkauf eines Gotteshauses ist eine Niederlage der Kirche."

Das möchte so sein. Es ist überraschend, wie großzügig auch Kirchen-Obere und gewählte Synodale die Spendierhosen trugen. Ähnlich, wie im Rathaus die Kämmerer, haben Rendant und kluge, besorgte Bürger schon früh vor Expansion in zu viele Steine und Stellen gewarnt. Die Mahnungen blieben zumeist ungehört.

Jetzt ist die finanzielle, aber auch die geistliche Not, in der Kirche groß. Und wer zieht Konsequenzen, bekennt sich schuldig? Musste sich auch noch die Trutzburg Evangelische Landeskirche 2004 in 1A-Lage um die Immobilie der Dresdner Bank vergrößern?

Die gut 1.400 Gemeindeglieder von Paul-Gerhardt sind kein armer Bezirk. Viele ihrer Vorfahren haben vor gut 45Jahren für den Bau des Gotteshauses neben ihrer Kirchensteuer beträchtliche Spenden geleistet. Um so empfindlicher reagieren die heutigen Gemeindeglieder gegen Bevormundung durch Synodale. Sie fühlen sich in der Lage, die jährlichen 25.000 Euro Betriebskosten aufzubringen. Der rote Klinkerbau mit dem gut 46 Meter hohen Kirchturm, auch Symbolträger christlichen Glaubens, soll nicht amputiert werden.

Doch das Kirchen-Management verweigert den eigenen Glaubensgeschwistern, die sie bezahlen, jede Verhandlungsbereitschaft. Vielmehr werden die Verkaufsgespräche mit der Aura historischer Wiedergutmachung verbrämt. Tatsächlich geht es aber um rund eine Million Euro Immobilienerlös. Und die soll der Steuerzahler durch Städtebauförderungsmittel bis zu 70 Prozent tragen.

09./10.09.2006
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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