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Bielefelder Tageblatt (SH) / Neue Westfälische , 06.09.2006 :

Aufstand der Anständigen / Nachrichtensprecher malt düsteres Bild von deutschen Realitäten

Von Krain Prignitz

Schloß Holte-Stukenbrock. "Wie viel Ärger haben Sie schon bekommen?" Eine Frage, die Hans-Hermann Gockel nach der Veröffentlichung seines provokanten Buches "Deutschland – die überstrapazierte Nation" Ende März bei all seinen Lesungen hört. Für den Fernsehjournalisten "das größte Kompliment".

"Eineinhalb Jahre", berichtete Gockel, der einer Einladung des CDU-Kreisverbandes Gütersloh gefolgt war, im Gasthof Dresselhaus-Brockmann, habe er recherchiert, mit Politikern, Lehrern, Gewerkschaftern, Polizisten über die aktuelle Situation in Deutschland gesprochen. Dabei habe sich nach und nach seine Vermutung bestätigt, "dass es nur in eine Richtung geht, nämlich bergab".

Braun gebrannt, frisch geföhnt, im Nadelstreifenanzug und mit übereinandergeschlagenen Händen zitierte Gockel, der, "wenn man mich lässt im kommenden Jahr 20 Jahre im Fernsehgeschäft und damit der dienstälteste Nachrichtenmoderator" ist, aus seinem Buch. Verkündete bittere Wahrheiten, bohrte den Finger in die Wunde verschiedener Missstände, malte ein düsteres Bild von den "Realitäten in diesem Land".

Vor allem mit den Politikern aller Couleur ging der smarte Bielefelder, der den Großteil seines Lebens in Berlin verbringt, hart ins Gericht. "Wir wollen nicht nur gestreichelt werden", hatte Hans Schäfer, CDU-Chef aus Schloß Holte-Stukenbrock, in seinen Begrüßungsworten betont. In der Tat verteilte der Autor alles andere als Streicheleinheiten.

Raffgier und der persönliche Vorteil sei den Regierenden "wichtiger als das Gemeinwohl", Steuermittel würden vergeudet, der ungehemmte Zustrom von Migranten nicht unterbunden, Sozialleistungen würden auch für jene gezahlt, die sich nicht integrieren ließen, "die Gesellschaft vernichten wollen". Im Gegenzug leere Rentenkassen und Millionen Deutsche, die in Armut leben.

"Die großen Parteien haben sich beliebig gemacht", redete Gockel Klartext. Politiker hätten nicht das Selbstbewusstsein, diesen Ist-Zustand zu verändern, ihnen fehle "die Courage, sich vor die Menschen zu stellen". "Jeder Manager, der seinen Laden so stümperhaft geführt hätte, wäre in hohem Bogen rausgeflogen." Und überhaupt: "Haben wir die Politiker ins Parlament oder in die Talkshows gewählt?"

Ärger gehe oft mit Niederlagen einher, gab ein Herr aus dem Publikum zu bedenken. "Wenn regierende Politiker es allen Leuten recht machen wollen und sich nicht gerade machen, dann werden sie zu Deppen", konterte Gockel und wetterte weiter: "Es ist unglaublich, was in diesem Land abgeht."

Die rund 70 Anwesenden forderte er auf, "verbal auf die Barrikaden zu gehen". Er jedenfalls lasse sich "dieses Verdummdeubeln nicht mehr bieten". Aus Gockels Sicht kann nur eines der Misere ein Ende bereiten: "Ich hoffe, dass es in diesem Land zu einem Aufstand der Anständigen kommt." Ansonsten werde es nach der "momentanen Lethargie im Land" – ähnlich wie in Frankreich – schon bald "brennende Barrikaden in den Städten" geben.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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